Geschichte der Aneignung 1

Das Strafjustizzentrum

Uhrzeit: 18 Uhr

Ort: VerhandelBar: Sandstraße 47a, 80335 München

Die Geschichten der Aneignung sind in der Ausstellung der VerhandelBar als Audiospur zu hören. Die erste stammt von der Initiative JustizzentrumErhalten/ AbbrechenAbbrechen, weitere folgen mit den zukünftigen Wechselausstellungen.


Das Strafjustizzentrum aneignen

Heute habe ich mir vorgenommen, das Justizzentrum von innen zu sehen. Ich fahre mit der U-Bahn zum Stiglmaierplatz, steige auf die Rolltreppe und fahre langsam hoch. Vor mir sehe ich das Justizzentrum. Es ist riesig. Ich gehe zwei Schritte zum Vorplatz hinunter und blicke auf die Stützen, die außen am Gebäude stehen. Es sind Pendelstützen. Ich frage mich, ob man diese Stützen auch von innen sehen könnte. Führt die Konstruktion sozusagen von außen auch nach innen? Auf jeden Fall kommt es mir sehr zugänglich vor und die plastische Fassade weckt mein Interesse. Ich möchte gerne wissen, was innen passiert.

Vor mittlerweile anderthalb Jahren sind wir in der Süddeutschen Zeitung auf einen großen Artikel über das Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße gestoßen. Das war etwas ungewöhnlich, denn es ging nicht wie üblich um Strafverfahren, sondern um Fragen der Stadtentwicklung. Wir als Architekt*innen und Stadtplaner*innen waren auf den Plan gerufen. Denn das sind die Themen, die uns wirklich interessieren. Es ging darum, dass das Strafjustizzentrum bald umziehen würde in einen Neubau am Leonrodplatz. Aus dem Artikel war herauszulesen, dass ein Abriss sehr wahrscheinlich ist und dass weder Freistaat noch Landeshauptstadt wirklich gute Ideen für die nahe Zukunft haben. Da haben wir angefangen zu recherchieren.

Ich trete auf das Justizzentrum zu, doch bevor ich hinein kann, muss ich zuerst eine Sicherheitskontrolle absolvieren. Anfänglich kommt mir das wie eine ziemlich große Hürde vor, doch die Beamten sind eigentlich ganz nett und lassen mich in das Gebäude hinein. Endlich kann ich das Justizzentrum von innen sehen.

Bei unserer Recherche haben wir dann recht schnell festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist. Man kann nicht einfach mit ein bisschen Schreibtischrecherche herausfinden, was in nächster Zukunft passiert, wie das funktioniert, wer dafür zuständig ist. Man muss wirklich das Gespräch mit Menschen suchen und noch etwas tiefer graben. Und das haben wir dann auch gemacht.

Als erstes fallen mir die gelben Einbauten auf. Sie sehen tatsächlich noch besser aus als auf den Bildern, die ich schon kenne. Und unter der Decke sehe ich die große Betonkonstruktion wieder. Es muss dieselbe sein, die ich auch schon von außen gesehen habe. Der Träger ist bestimmt einen Meter hoch. Ich lehne mich zurück und hinter mir spüre ich eine Säule. Sie ist ebenfalls aus Beton und ziemlich rau. Ich gehe weiter vorbei an ein paar Türen. Hinter dieser einen muss wohl der große Verhandlungssaal liegen. Die beiden Türen stehen offen. Verrückt zu denken, was hier alles schon passiert ist.

Mit der bekannteste Prozess, der an der Nymphenburger Straße stattfand, war jener um Beate Zschäpe und ihre Mittäterschaft und ihre Beteiligung an den Morden des NSU. Er fand über vier Jahre im Strafjustizzentrum statt. Das Interesse war so groß, dass die Räumlichkeiten dafür sogar umgebaut werden mussten. Dennoch gab es Beschwerden aus der Öffentlichkeit, weil nicht jeder, der auch wollte, daran teilnehmen konnte. Wir denken, das ist als Ganzes ein wichtiger und schwieriger Teil der jüngeren deutschen Geschichte. Und wir glauben, dass solch einen Ort zu haben wie eben der Ort, an dem der Prozess stattfand, es einfacher macht, die Erinnerung daran zu pflegen und über diese Erinnerung auch Diskussionen zu pflegen. Wenn es einen solchen Ort nicht mehr gibt, haben wir die Sorge, dass die Erinnerung vielleicht einfach verschwindet.

Auf einmal fällt mir der Bodenbelag auf. Dieser führt mich zum Treppenhaus und ich habe Lust, auch noch die oberen Geschosse zu sehen. Ich gehe also einen Stock hinauf und blicke mich um. Es muss wohl ein Verwaltungstrakt sein. Ich sehe einen langen Gang und viele Türen. Sonst ist hier nicht so viel zu sehen.

Wir denken, dass es heute nicht mehr okay sein kann, ein so riesiges Gebäude wie das Strafjustizzentrum einfach wegzuwerfen. Schon allein aus Gründen des Klimaschutzes und des Ressourcenschutzes. Das Gebäude verfügt über ein vielfältiges Raumprogramm und um ein solch kompliziertes Objekt umzunutzen, braucht es frische und kreative Ideen. Es gibt einige Studierendenarbeiten, die sich damit auseinandergesetzt haben, verschiedenste Wohnformen in dem Objekt unterzubringen und das klappt auch wunderbar. Um aber wirklich dem ganzen Gebäude gerecht zu werden, braucht es unserer Meinung nach einen Prozess mit der ganzen Stadtgesellschaft, damit diese ihre Bedarfe und ihre Ideen kundtun kann. Dann müssen die von professionellen Architekt*innen in dem Gebäude platziert werden. Auch hier kann es verschiedenste Ideen und Varianten geben. Eine solche offene Diskussion, einen solchen offenen Prozess wünschen wir uns für die nähere Zukunft.

Ich steige die letzten Stufen hinauf und öffne die Tür. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Endlich stehe ich auf dem Dach. Von hier aus kann ich ganz München sehen und an einem anderen Tag vielleicht sogar die Alpen. Auf den Straßen sehe ich Menschen, auf dem Weg zur Arbeit, in den Kindergarten, in die Schulen. Was wäre eigentlich, wenn diese ganzen Menschen auch hier stehen könnten? Was wären ihre Ideen für dieses Gebäude?